Merkmale | Erbaut zwischen 1891 und 1893, vielleicht für den Hauptmann Erwin Hasse, Architekt unbekannt. Traufständiger, dreigeschossiger Ziegelbau von vier Achsen auf Kellersockel unter Satteldach mit straßenseitiger Mansarde. In der rechten Achse rechteckiger Eingang. Alle Fenster rechteckig. Im 1. und 2. Obergeschoss in den beiden Mittelachsen ein Balkon. Zweiachsiges Zwerchhaus.
Straßenfassade mit Putz- und in der Sockelzone Werksteingliederung. Erdgeschoss verputzt mit Quaderung. Eingang mit toskanischen Pilastern und Dreiecksgiebel mit weiblicher Büste. Fenster mit Rahmungen, im Erdgeschoss auf Blendkonsolen. im 1. Obergeschoss mit Ohren und Löwenmasken als Schlusssteinen, im 2. Obergeschoss mit Brüstungsfeldern, am Sturz Volutenkonsolen und abschließendem Gesims. Unterer Balkon mit Volutenkonsolen, Balustrade und darauf kannelierten korinthischen Säulen, die den oberen Balkon tragen, an diesem wohl erneuertes Eisengeländer. Gesimse: Fußgesims, Sockelgesims, geschossteilendes Gesims, Brüstungsgesims im 1. Obergeschoss, Kranzgesims mit Konsolfries, außerdem im 2. Obergeschoss zwei horizontale Bänder. Zwerchhaus mit kannelierten toskanischen Pilastern, ehemals wohl mit Giebel.
Überall bauzeitliche Holzfenster. Eingangstür um 1920.
Rückfront ziegelsichtig mit dreieinhalb Geschossen. Fenster segmentbogig. Drei- bis dreieinhalbgeschossiger Rückflügel. Im Winkel eingeschossiger Anbau mit großen Öffnungen zum Garten.
Im Inneren die bauzeitliche Raumdisposition und Erschließung fast unverändert erhalten. Vollständig unterkellert. Korridorartiges Vestibül, hinter einem rundbogigen Durchgang das Treppenhaus mit zweiläufiger Treppe. Im Erdgeschoss vorn zwei Räume und rückwärtig ein großer Gartensaal. Im Erdgeschoss des Hinterhauses die frühere Küche dahinter ein zweites Treppenhaus mit Wendeltreppe. In den Obergeschossen vorn je zwei und hinten ein Raum. Dachgeschoss nach 2006 umgebaut, Dachwerk modern.
Wandfeste Innenausstattung fast lückenlos überkommen. Im Vestibül und Erdgeschoss des Treppenhauses Steinplattenfußboden, im Erdgeschoss des Rückgebäudes Fliesen, in den Wohnräumen und im Treppenhaus Parkett, im Dachgeschoss und im Hinterhaus Dielen. In der Küche die Wände mit teils figürlichen Fliesen. Putzgliederung der Decken im Treppenhaus und den Wohnräumen bis zum 2. Obergeschoss, im Vestibül auch an den Wänden. Besonders aufwändig der Gartensaal mit zwei großen korinthischen Säulen und an der Decke heute übermalter Holzimitationsmalerei sowie der straßenseitige Raum im 1. Obergeschoss. Treppen alle bauzeitliche Holztreppen: Kellertreppe, Haupttreppe (bis zum 2. Obergeschoss mit reich verzierten Eisenstäben, dann mit gedrechselten Holzstäben), Treppe im Rückgebäude. Alle Innentüren noch vorhanden. In der Küche Wandschrank. Im 1. Obergeschoss und im Gartensaal je ein Kamin. |
Begründung | Das Wohnhaus Bismarckstraße 99 erfüllt im definierten inhaltlichen und räumlichen Umfang mit den oben be-schriebenen wesentlichen Merkmalen die Voraussetzungen eines Baudenkmals im Sinne von § 2 Abs. 1-2 des Nordrhein-westfälischen Denkmalschutzgesetzes (DSchG NRW) in der Fassung vom 13.04.2022. Insbesondere ist das Wohnhaus Bismarckstraße 99 bedeutend für die Geschichte des Menschen und für Städte und Siedlungen. Ferner besteht an seiner Erhaltung und Nutzung wegen seiner wissenschaftlichen und städtebaulichen Bedeutung ein Interesse der Allgemeinheit.
Bedeutung für die Geschichte des Menschen:
Das Wohnhaus Bismarckstraße 99 ist ein beispielhaftes, deutlich überdurchschnittliches und recht großes Einfami-lienhaus aus dem späten 19. Jh., das in seiner Struktur und mit fast allen aussagekräftigen Details erhalten ist und daher ein wichtiges Zeugnis für gehobene Wohnverhältnisse in seiner Erbauungszeit darstellt. Die Gestaltung des Äußeren und der wichtigsten Räume des Inneren hat aufgrund des dekorativen Aufwands und der handwerklichen und materiellen Qualität der Ausführung repräsentativen Charakter. Besonderen Zeugniswert erhält das Haus durch seinen außergewöhnlich vollständigen, nahezu lückenlosen Erhaltungszustand fast aller wandfesten Ausstattungselemente, der in Aachen seinesgleichen sucht. Als große Seltenheit sei hier die erhaltene Küchenausstattung mit Boden- und Wandfliesen sowie einem Wandschrank hervorgehoben. Aber auch die Fußböden, die Trep-pen, die Türen und die Fenster sowie viele weitere Details sind komplett überkommen. Die Haustür ist zwar wenige Jahrzehnte nach Erbauung des Hauses ersetzt worden, ist aber ebenfalls qualitätvoll und passt sich in die wenig ältere übrige Ausstattung ein. Die Ausstattung des Hauses weist durchgängig eine hohe handwerkliche Qualität auf.
Erster nachweisbarer Eigentümer und vielleicht auch der Bauherr des Hauses war 1893 Erwin Hasse, Hauptmann und Kompaniechef im 5. Westfälischen Infanterie-Regiment Nr. 53, der es als Einfamilienhaus bewohnte. Dieses Regiment war seit 1877 in Aachen stationiert und bezog 1882 die Gelbe Kaserne am Elsassplatz. Das Franken-berger Viertel wurde wegen der Nähe zum bevorzugten Wohnviertel der Offiziere.
Bedeutung für Städte und Siedlungen:
Das ganz überwiegend auf damaligem Burtscheider Gebiet liegende Frankenberger Viertel ist eins der ersten Stadterweiterungsgebiete von Aachen (nach dem Rehmviertel, vor 1864, und dem Steffensviertel, um 1870). Das relativ ebene, östlich der Altstadt gelegene Gelände bot sich für eine Stadtweiterung an. Ehemals waren die Ländereien ganz überwiegend im Besitz der Burg Frankenberg gewesen und wurden von deren Erben 1872 durch die neugegründete Aktiengesellschaft Frankenberg zum Zweck der Bebauung erworben. Die Aktiengesellschaft stellte selbst einen Bebauungs¬plan auf und erwarb noch fehlende Grundstücke zu teils hohen Kosten dazu. 1874 waren einige Straßen bereits ausgeführt, die letzten Abschnitte wurden aber erst um 1890 trassiert. Die Bebauung setzte zunächst nur zögerlich ein, und bis 1884 waren im Frankenberger Viertel erst sehr wenige Häuser erbaut. Danach nahm das Tempo zu, aber selbst 1914 blieben vor allem in Randbereichen noch Grundstücke unbebaut. Zwi-schenzeitlich (1897) war Burtscheid nach Aachen einge¬meindet worden. Der Großteil der heutigen Bausubstanz des Frankenberger Viertels stammt aus der Hauptbauphase zwischen 1874 und 1910, so auch das Haus Bis-marckstraße 99 von 1891/1893. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Viertel nur in geringem Ausmaß zerstört. Heute ist das Gebiet, dessen historistisch geprägte Straßenzüge und Bebauung weitgehend erhalten sind, das größte zusammenhängende Gründerzeitviertel Aachens und sogar eins der größten im ganzen Rheinland.
Im Frankenberger Viertel entstanden repräsentative Stadtpalais als Einfamilienhäuser für Fabrikanten oder hohe Beamte, aber auch Mehrparteienhäuser mit großzügigen Mietwohnungen für Beamte und Personen der höheren oder mittleren Einkommensschichten. Eine Unterteilung von Häusern in kleinste Wohneinheiten ist dagegen die Ausnahme gewesen, eher ging der Trend hin zur Schaffung von etagenweise abgeschlossenen Wohnungen. Allen Personenkreisen gemeinsam war der Wunsch nach einer repräsentativen Gestaltung des Äußeren und der Haupträume des Inneren. So kommt es, dass für jedes Haus eine individuell unverwechselbare Außenerscheinung entworfen wurde, bei der eine reiche Dekoration geradezu eine Grundvoraus¬setzung ist. Vielfach wurden die Häu-ser auch von den Bauunternehmern / Architekten im eigenen Auftrag errichtet und - bei Einfamilienhäusern - dann verkauft, während Mehrparteienhäuser vermietet wurden. Im Frankenberger Viertel ist - trotz weniger immer wiederkehrender, wenn auch teilweise abgewandelter Grundtypen - das gesamte Formenrepertoire des Historismus zu finden, was zu einem äußerst reichen baulichen Gesamtbild des Viertels führt. Die rückwärtigen Bereiche der häufig recht tiefen Grundstücke im Blockinnenbereich - auch und gerade zwischen Bismarckstraße und Oppenhoffallee - nehmen außer den rückwärtigen Flügeln der Häuser und Gärten nicht selten kleinteilige Betriebsgebäude wie Schuppen und Werkstätten oder im Bereich nördlich der Oppenhoffallee sogar bereits vorher existierende Fabrikanlagen, bei besonders wohlhabenden Eigentümern manchmal auch Remisen oder Kutscherhäuser auf.
Insgesamt trägt jedes einzelne erhaltene Haus mitsamt der Innenstruktur und seiner jeweiligen rückwärtigen Bebauung in einmaliger Weise zum Zeugnis- und Schauwert des Frankenberger Viertels in seiner baulichen Gesamtstruktur bei.
Ferner liegen für Erhalt und Nutzung vor:
Wissenschaftliche, insbesondere architekturhistorische Gründe:
Das Haus Bismarckstraße 99 gehört zum Typus des Vierfensterhauses. Die Straßenfassade stellt ein anschauliches Beispiel für eine Fassadengestaltung des Historismus dar. In dieser Zeit besann man sich auf die Baustile vergangener Epochen, studierte sie und komponierte aus ihnen neue zeitgemäße Fassaden, die oft eine Mischform aus verschiedenen Stilelementen zeigen. Es galt, aus dem erarbeiteten Formenschatz der Vergangenheit eine moderne Bauaufgabe ansprechend, malerisch und würdevoll zu gestalten. Die Fassade des Hauses Bismarckstraße 99 ist mit einer Putzgliederung geschmückt, deren reicher Dekor sich vor allem an barocken Vorbil-dern orientiert. Der Dekor konzentriert sich um den zweigeschossigen Balkon, wo sogar Freisäulen Verwendung finden. Trotz der abwechslungsreichen Detailformen bleibt dabei ein einheitlicher Gesamteindruck gewahrt, da die Formenvariation kompositorischen Überlegungen folgt. Auch im Detail ist der Fassadendekor höchst qualitätvoll ausgeführt. Die Wirkung der Fassade wird nur durch das Fehlen der oberen Balkonbrüstung und des Giebels über dem Zwerchhaus etwas beeinträchtigt. Mit der Quaderung des Erdgeschosses folgt die Komposition Vorstellungen des Palastbaus der italienischen Renaissance und des Barock. Die im 2. Obergeschoss am reichsten ausgestaltete Fensterrahmung widerspricht dagegen dem üblichen Verständnis des 1. Obergeschosses als Beletage und damit auch der Innengestaltung, die das 1. Obergeschoss durch die Raumhöhe und den Dekor auszeichnet. Ein ungewöhnliches Motiv sind die zwei offenen Balkone übereinander, die noch dazu durch große Säulen miteinander verbunden werden, sodass ein erkerartiger Eindruck entsteht (vgl. in Aachen die Häuser Heinrichsallee 11 und mit einer dreigeschossigen Lösung Monheimsallee 13); häufig findet man dagegen Erker im 1. Obergeschoss, die einen Balkon im 2. Obergeschoss tragen.
Das Haus gehört mit dem vom Wendepodest der Treppe aus erschlossenen Rückflügel zu Peter Ruhnaus Grund-risstyp A.1., der mit mindestens 101 Vorkommen der traditionellste und gleichzeitig einer der häufigsten Typen des Dreifensterhauses im Frankenberger Viertel ist, aber auch bei den wesentlich selteneren, breiteren Vierfenster-häusern Verwendung fand. Der Hauptnachteil dieses Grundrisstyps ist, dass geschossweise abgeschlossene Wohnungen nicht möglich sind, was aber bei einer Nutzung als Einfamilienhaus keine Rolle spielt. Durch seine große Breite von ca. 10,50 m stellt das Haus dabei ein sehr großzügiges Raumangebot zur Verfügung, das schon vor dem letzten Umbau 439 m² Wohnfläche umfasste.
Städtebauliche Gründe:
Dem Haus Bismarckstraße 99 kommt eine städtebauliche Bedeutung als einem prägenden Teil der historischen Bebauung in diesem Abschnitt der Bismarckstraße zu. Es gehört zu einer geschlossenen Reihe der Ursprungsbebauung auf der Nordseite der Straße, die von Nr. 91 bis zu Nr. 103 reicht und damit sieben Häuser umfasst. Durch den abwechslungsreichen Dekor und die Zwerchhäuser entsteht hier trotz des fast überall gleichen Grundtypus des Dreifensterhauses - nur Nr. 99 hat vier Achsen und ist damit herausgehoben - ein lebhaftes Bild. Zusammen mit der gegenüberliegenden Straßenseite, wo ebenfalls die meisten Häuser noch zur Erstbebauung gehören, ergibt sich in diesem Abschnitt der Bismarckstraße ein weitgehend geschlossener Straßenraum des Historismus. Die Lage und die Gestaltung machen das Haus Bismarckstraße 99 im Gesamtbild der Bismarckstraße und des Frankenberger Viertels zu einer wichtigen Komponente.
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