Wohnhaus
Denkmalnummer 05334002 A 03614
Adresse Fichthang 9
Koordinaten 292332 5626741
Eintragung 02.07.2018
Denkmalart Baudenkmal
Kataster Flurstück: Gem.: Aachen Flur: 34 Flurst.: 227
Merkmale Errichtet 1971-73 für das Medizinerehepaar Jung und seine drei Kinder, Architekt Erich Schneider-Wessling; Mehrgeschossiges, mehrfach gestuftes und gestaffleltes Gebäude auf nach Osten abfallendem Grundstück. Erscheinungsbild stark durch horizontale Gliederung, Vor- und Rücksprünge sowie weiß gefasste Wandflächen mit sichtbarer Mauerstruktur, kräftigen und z.T. weit vorkragenden, ungefassten Beton-Geschossdecken bzw. Flachdächer ("schwebende Dächer") und meist raumhohen Glasflächen in dunkelbraunen Holzrahmen geprägt; Zur Straße viele geschlossene Wandflächen und kompaktere Staffelung. Zum Garten hin stärkere Auflösung der Wandflächen und Vorkragung der Geschossdecken und Balkone, großer Kamin, teilweise überdachte Blausteinterrasse im Garten mit Feuerstelle; künstlich geschaffenes Gelände- bzw. Gartenprofil auf das Haus bezogen, achsial ausgerichtetes Schmimmbecken im Garten als Teil der Gesamtkonzeption. Der Grundriss aus winkelförmiger Grundfigur entwickelt. Im KG Doppelgarage, Technik- und Funktionsräume; im EG Gemeinschaftsräume, Küche, Diele, etc., in den OGs Kinderzimmer und private Räume der Eltern. Jedem Raum Balkon auf dem Dach des darunter liegenden Bauteils zugeordnet. Prägend für die Innenräume sind durchlaufende Sichtbetondecken sowie eine strenge Reduktion auf wenige und bestimmten Bauteilen zugeordneten Materialien; raumhohe Türen und Fensterelemente. Alle Etagen durch Betonstufen-Treppe mit Blausteinoberfläche und Metallrohr-Geländer erschlossen. Von der bauzeitlichen Ausstattung thekenartige Durchreiche mit horizontaler Schiebetür zwischen Küche und Essbereich, wandhohes Schrankelement mit zwei Türen und mittigem Spiegel in der Diele erhalten. - Siehe Gutachten vom 03.05.2018 mit Nachtrag vom 26.05.2020 als Bestandteil der Eintragung -
Begründung Das Wohnhaus Fichthang 9 ist bedeutend für die Geschichte des Menschen sowie für Aachen. An seiner Erhaltung und Nutzung besteht aus wissenschaftlichen - hier architekturhistorischen und sozialhistorischen - sowie künstlerischen Gründen ein öffentliches Interesse. Das Wohnhaus Fichthang 9 ist bedeutend für die Geschichte des Menschen als ein Zeugnis für die abgeschlossene Epoche der Moderne. Die ungewöhnliche um nicht zu sagen aufsehenerregende, von den Möglichkeiten moderner Bautechniken ge¬prägte Erscheinung des Gebäudes veranschaulicht auf prägnante Weise einen für das Projekt der Moderne zentrales Anliegen, den bewussten Bruch mit der Tradition, ebenso wie den für diese Epoche charakteristischen unbedingten Optimismus, dass technische Entwicklungen und naturwissenschaftliche Forschung zu einem dauerhaf¬ten Fortschritt in der Verbesserung des Lebensverhältnisse des Menschen führen werden. Das Wohnhaus Fichthang 9 führt in selten anschaulicher Weise das unter anderem von diesen beiden Aspekten geprägte Lebensgefühl der 1960er und 1970er Jahre vor Augen. Neben seiner allgemeinen Bedeutung als Zeugnis für die Epoche der Moderne hat das Wohnhaus Fichthang 9 durch seine Bauherrn und Bewohner auch eine Bedeutung für die Geschichte der Stadt Aachen, da das Ehepaar Jung insbesondere als Sammler und Vermittler zeitgenössischer Kunst sowie als Gründungsmitglieder und langjähriger Vorstand des Vereins der Freunde des Ludwig Forums für Internationale Kunst e.V. für das kulturelle und gesellschaftliche Leben der Stadt Aachen einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Architekturhistorische Bedeutung: Architekturhistorische bedeutend ist das Wohnhaus Fichthang 9 in Aachen als gestalterisch anspruchsvolles und bis ins Detail sorgfältig durchgestaltetes Beispiel für ein großzügig angelegtes modernes Einfamilienwohnhaus der frühen 1970er Jahre, das seit seiner Errichtung keine größeren Veränderungen erfahren hat. Der gestalterische Anspruch einer Verbindung von Elementen unterschiedlicher Typen und stilistischer Tendenzen des modernen Wohnungsbaus ist dabei zu einer überzeugenden Synthese gebracht. Für seinen Entwurf griff Schneider-Wessling gleichermaßen auf die Bungalow Architektur Richard Neutras zurück wie auf den seit den 1960er Jahren insbesondere beim Bau von Mehrfamilienhäusern verbreiteten Typus des Terrassenhauses. Mit dem Rückgriff auf diese beiden Typen des Wohnungsbaus verbindet sich auch eine jeweils unterschiedliche stilistische Haltung. Richard Neutras insbesondere seit der zweiten Hälfte der 1940er Jahre vor allem in den USA errichtete Bungalows sind gekennzeichnet durch große, weit überstehende Dachplatten über weitgehend verglasten Außenwänden. Auf diese Weise wird bereits am Außenbau das fließende, den Außenraum einbeziehende Raumkontinumm sichtbar, das ein weiteres zentrales Merkmal von Neutras Wohnhaus Architektur darstellt. Zur Kennzeichnung unterschiedlicher funktionaler Bereich sind die Dachplatten gegeneinader gestaffelt und gestuft. Das Vorbild der Architektur Richard Neutras, die seit Mitte den 1950er Jahren eine ganze Reihe anspruchsvoller Wohnbauten im wirtschaftlich aufstrebenden Nachkriegsdeutschland beeinflusst hatte, zeigt sich bei am Haus Fichthang 9 am deutlichsten auf der der Gartenseite, deren Erscheinungsbild geprägt ist von den weit vorkragenden Geschossdecken- und Dachplatten und weitgehend verglasten Außenwänden. Natürlich unterscheidet es sich aufgrund seiner Mehrgeschossigkeit von den meistens eingeschossig angelegten Bauten Neutras. Durch die markante Kombination weit vorkragender Deckenplatten und weitgehend verglaster Außenwände dominiert aber auch hier der Eindruck einer horizontalen Schichtung. Darin unterscheidet sich die Gartenseite deutlich von der Straßenseite. Wie oben beschrieben herrscht hier der Eindruck einer Stufung und Staffelung kubischer Baukorper vor, deren Gesamtgefüge im Sinne des Terrassenbauprinzips stufenförmig gebildet ist. Dieser Eindruck entsteht nicht zuletzt auch dadurch, dass man auf der Straßenseite die einzelnen Vor- und Rücksprünge im Grundriss aufgrund der vielen geschlossenen Mauerflächen als kubische Körper wahrnimmt, woraus sich insgesamt ein als skulptural zu charakterisierendes Erscheinungsbild ergibt, in dem die Körperlichkeit der einzelnen Bauteile und ihr statisches Gefüge deutlich betont ist. In dieser Gestaltungsweise wird eine für die Architektur der 1960er und 1970er Jahre maßgebliche stilistische Strömung sichtbar, die eine bwusste Abkehr von der als technisch kühl sowie als monoton und seriell empfundenen funktionalistischen Architektur in der Nachfolge zum Beispiel eines Mies van der Rohe darstellte. Hingegen zeigt die Gestaltung der Gartenseite deutliche Anklänge an die Gestaltungsprinzipien eben jener funktionalistischen Architektur, zu deren wichtigen Vertretern auch Richard Neutra gezählt werden kann. Hierbei ist vor allen Dingen die Reduktion der Architektur auf das technisch Notwendige zu nennen, ein Prinzip was am Haus Fichthang 9 in den schwebenden Dächern über Glaswänden und den nahezu unsichtbaren Stahlstützen anschaulichen Ausdruck gefunden hat. Beide stilistische Haltungen werden von Schneider Wesseling auf überzeugende Weise in einen Gesamtentwurf integriert. Dies gelingt ihm insbesondere durch die strenge Reduktion auf wenige Materialen sowie durch ihren konsequenten gestalterischen Einsatz sowohl im am Äußeren wie auch im Inneren, wie oben in der Beschreibung dargestellt. Das dabei vorherrschende Prinzip der Zuordnung eines Materials zu einem bestimmten Bauteil (Decke, offene und geschlossene Außenwand, Boden, Türen, etc.) und die klare Trennung der Materialien zum Beispiel durch Schattenfugen (Ziegelwände und Betondecke im Inneren) oder ein unvermitteltes Aneinanderstoßen (Türblätter/Decke) ist charakteristisch für eine insbesondere seit den 1960er dominierende und Anfang der 1970er Jahre noch weit verbreitete stilistische Haltung. Das durch die konsequente Zuordnung zu bestimmten Bauteilen geförderte In-Szene-Setzen weniger Materialien, ihrer Farblichkeit und Oberflächenstruktur, ist kennzeichnend für diesen strengen, funktionalistisch nüchternen Materialstil, der auch das Erscheinungsbild des Wohnhauses Fichthang 9 maßgeblich prägt. Künstlerische Bedeutung: Das Wohnhaus Fichthang 9 besitzt künstlerische Bedeutung als bedeutendes Werk eines wichtigen Architekten der seit den 1960er Jahren aktuelle Entwicklungen in der Architektur der Bundesrepublik Deutschland durch seine Bauten und theoretischen Positionierungen mitgeprägt hat. Erich Schneider-Wessling wurde 1931 im oberbayerischen Wessling als Sohn eines Bauunternehmers geboren. 1951 - 56 studierte er Bauingenieurswesen und Architektur bei Professor Hans Döllgast an der Technischen Universität München. Unter anderem inspiriert von einem Vortrag Richard Neutras an der Akademie in München entschied er sich sein Studium in den USA fortzusetzen. 1956 - 58 studierte er - auf Neutras Rat hin - an der University of Southern California Los Angeles, wobei er einen Schwerpunkt auf die Beschäftigung mit der Architekturgeschichte legte. 1957 hatte er die Möglichkeit im Büro von Frank Lloyd Wright in Taliesin-West zu hospitieren, Im Anschluss daran war er 1958 - 59 als Mitarbeiter Richard Neutras tätig. Seit 1960 hatte er sein eigenes Architekturbüro in Köln, 1965 wurde Schneider-Wessling in den Vorstand der Ortsgruppe Köln des Bundes Deutscher Architekten (BDA) gewählt. In den 1960er Jahren stand er der Fluxus Bewegung nahe, deren Ideen einen gewissen Einfluss auf einige seiner Projekt hatten, insbesondere auf den Entwurf für das Wohnhaus des Komponisten Karlheinz Stockhausen und seiner Familie (1962- 64), das diese zusammen mit der Fluxus Künstlerin Mary Bauermeister bewohnten. Der Grundriss dieses Hauses ist weitgehend von einem hexagonalen Grundrissraster bestimmt, das laut Schneider-Wessling mehr als das quadratische Variabilität und Flexibilität und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Kommunikation ermöglicht. 1968 gründete er zusammen mit Peter Busmann den BAUTURM als Arbeitsgemeinschaft von Architekten und Ingenieuren. 1969 wurde er in den Deutschen Werkbund berufen. Ab 1972 war Professor für Stadterneuerung und, Wohnen an der Akademie der Bildenden Künste München. 1978 gründete er hier den Reichenauer Architekturkreis ("Reale Architektur"), 1980/81 etablierte er dort auch den Aufbaustudiengang "Reale Architektur". Angesichts der zunehmend deutlicher werdenden Folgen des modernen Fortschritts für die Umwelt bemühte sich Schneider-Wessling unter dem Begriff "Reale Architektur" ein übersichtliches Begriffsschema zu entwickeln mit dem sich die für ein Gelingen von Architektur - insbesondere der Wohnarchitektur - relevanten Aspekte und Erkenntnisse unterschiedlicher Bereiche aus Wissenschaft, Technik und Gesellschaft in den Planungsprozess integrieren lassen. Das Thema Wohnen nimmt in der Tätigkeit des Architekten Erich Schneider- Wessling einen besonderen Platz ein. Dies zeigt sich nicht nur daran, dass Wohnbauten einen Großteil der von ihm realisierten Werke ausmachen. 1969 war er Mitgründer der Genossenschaft "Urbanes Wohnen", die es sich zum Ziel gesetzt hatte insbesondere neue Formen des Lebens in der Stadt zu ermöglichen. Dieses Projekt fügt sich mit seinen zentralen Anliegen eines demokratischen Mitbestimmungsprozesses der zukünftigen Eigentümer an der Gestaltung der Entwürfe, einer neuen, flexibel veränderbaren Grundrissstrukturen angepassten Form des Miteigentums und einer Betonung großer Gemeinschaftsräume ein in die weit verbreiteten sozialutopischen Strömungen dieser reformfreudigen Zeit. Unter den Wohnungsbauten von Erich Schneider-Wessling, soweit sie in der Fachliteratur publiziert worden sind, nimmt das Haus Fichthang 9 eine besondere Stellung ein, da es, wie oben bereits dargestellt, deutlicher als andere seiner Häuser die Adaption von Werken und Ideen Richard Neutras veranschaulicht. Frühere Wohnhausprojekte Schneider-Wesslings (Forsbach, Haus Dr. Neven-DuMont, 1964-67; Holzlar, Doppelhaus Muthesius/Schneider-Wessling, 1964-67; Wuppertal-Barmen, Haus Dr. Peddinghaus, 1969) zeigen zwar ebenfalls eine vergleichbare Grundrissstruktur, bei der einzelne Räume und Raumbereiche durch Vor- und Rücksprünge deutlich am Äußeren des Gebäudes in Erscheinung treten. Der für die Werke Neutras wie für das Haus Fichthang 9 charakteristische Einsatz weit vorkragender Geschossdecken- beziehungsweise Dachplatten ist bei den früheren Wohnbauten Schneider-Wesslings nicht anzutreffen. Ihr Äußeres wird vielmehr durch ein gestaffeltes und gestuftes Gefüge kubischer Elemente bestimmt, wie es für die Straßenansicht des Hauses Fichthang prägend ist. Für das hier ebenfalls anklingende Thema des Terrassenhauses sei unter den früheren Werken Schneider-Wesslings auf das Gästehaus der Humboldt Stiftung in Bonn (1963 - 66) verwiesen, das national einige Beachtung fand. Dieses Gebäude ist für eine Einordonung des Hauses Fichthang 9 in das Werk von Schneider-Wessling nicht nur wegen des Bautypus von Interesse. Anders als bei den früheren Wohnhäusern, bei denen Holz nicht nur bei der Gestaltung des Äußeren, zum Beispiel als verbretterte Traufen, sondern auch bei der Konstruktion im Inneren eine wesentliche Rolle spielte, setzte Schneider-Wessling bei der Außenverkleidung des Gästehauses neben Holzelementen auch Metallplatten ein. Hierin ist eine gewisse Hinwendung zur Gestaltung mit modernen Materialien zu erkennen, die sich in dem prägnanten Einsatz von Betonelementen sowie schlanker Metallstützen auch am Haus Fichthang 9 zeigt. Abgesehen vom hohen Zeugniswert des Hauses Fichthang 9 als Synthese unterschiedlicher gestalterischer Prinzipien, die den Werdegang des Architekten, seine Lehrzeit bei Neutra ebenso wie seine eigenes architektonisches Schaffen bis zu diesem Zeitpunkt auf sehr anschauliche Weise wiederspiegelt, stellt es darüber hinaus im Vergleich mit seinen eigenen Bauten und anderen zu dieser Zeit verwirklichten Wohnhausprojekten ein Werk von hohem gestalterischen Anspruch und einer bis in die Durchgestaltung von Details hohen entwerferischen Qualität dar. Sozialhistorische Bedeutung; Schließlich hat das Haus Fichthang 9 auch eine nicht unerhebliche sozialhistorische Bedeutung als sehr anschauliches und gut überliefertes Zeugnis für die Vorstellungen gehobener bürgerlicher Schichten von der Gestaltung eines als zeitgemäß empfundenen modernen Lebensumfelds zu Beginn der 1970er Jahre. (Vgl. Gutachten vom LVR vom 03.05.2018 mit Nachtrag vom 26.05.2020)
Schutzumfang Der Denkmalumfang umfasst das Wohnhaus Fichthang 9 als Ganzes, die umgebenden Freiflächen (Geländeprofil) sowie das Schwimmbecken im Garten und Teile der Ausstattung aus der Bauzeit wie im beiliegenden Gutachten vom 03.05.2018 mit Nachtrag vom 26.05.2020 beschrieben. -Siehe Lageplan, der Bestandteil der Eintragung ist.-
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