Merkmale | Das Gebäude Templergraben 29 steht auf einer schmalen langestreckten Parzelle. Zusammen mit den Nachbargebäuden auf beiden Seiten schließt es eine durch Kriegseinwirkungen entstandene Lücke innerhalb einer aus dem späten 19. Jahrhundert stammenden geschlossenen Wohnhauszeile. Dabei wurde die ursprüngliche Parzellenstruktur beibehalten und noch nutzbare ältere Bausubstanz in die Neubauten integriert. Bei dem Gebäude Templergraben 29 sind der gemauerte Gewölbekeller vollständig und das Erdgeschoss mit seinem Mauerwerk weitestgehend aus dem späten 19. Jahrhundert erhalten. Ebenfalls in weiten Teilen aus der ersten Bauphase des Gebäudes stammt der rückwärtige zweigeschossige Anbau. Dieser ist aufgrund von Veränderungen gegenüber seinem ursprünglichen Zustand und wegen seines geringen architekturhistorischen Aussagewertes in Bezug auf den Neubau von 1969 kein Bestandteil des Denkmalumfangs.
Das 1969 weitgehend als Neubau errichtete Gebäude Templergraben 29 erhebt sich über rechteckigem Grundriss. Mit seinen vier Geschossen, der Höhe seiner Traufe und dem ziegelgedeckten Satteldach fügt es sich in das Gesamtbild des Straßenzuges ein. Prägendes Elemente seines äußeren Erscheinungsbildes ist allerdings die Fassade. Diese hebt sich mit ihrer expressiv-individuellen Gestaltung und ihrer Materialität deutlich von allen anderen Gebäuden in ihrer Umgebung ab. Die Fassaden der Straßen- sowie der Rückseite bestehen überwiegend aus großen geschossweise angebrachten, wandbildenden Kunststoffplatten, die ursprünglich zudem eine auffällige Farbigkeit aufwiesen. In der Mitte jeder Platte befindet sich als einziges Gliederungselement ein kristallin anmutender erkerartiger Vorsprung, dessen südwestliche Seite ganz als Fenster geöffnet ist. Die Form dieser Erker lässt sich am ehesten als Ausschnitt aus einem Dodekaeder beschreiben . Anders als bei diesem gleichmäßigen Polyeder sind hier allerdings die Kanten nicht alle gleich lang. Zugunsten einer größeren Breitenerstreckung des "Erkers" sind die Schenkel der Trapeze etwas länger als die Kante zwischen den beiden Trapezflächen. Die Platten sind je Geschoss auf beiden Seiten mit je vier Verankerungen an den dahinterliegenden Außenwänden des Gebäudes befestigt. Ob die im Sinne einer möglichst stabilen Verankerung der Fassade in den Plänen der Baugenehmigung vorgesehenen Betonpfeiler am Kopf der gemauerten Brandwände tatsächlich auch so umgesetzt worden sind, konnte am Ort nicht überprüft werden. Die Fassadenelemente wurden als Sonderanfertigung von der Firma Plastin Kunststoff GmbH aus Solingen hergestellt, welche hierfür vorgefertigte glasfaserarmierte Polyesterharzplatten mit der Produktbezeichnung Polyleit 41414 der Reichold-Albert-Chemie AG Hamburg nutzte. Hierbei wurden zwei Platten durch Stege aus dem gleichen Material miteinander verbunden, die in einem engen quadratischen Raster angeordnet sind. Auch die Fenstererker bestehen aus solchen Stegplatten. Die Platten haben eine grünlich-gelbliche Grundfarbe - was aber zum Teil der Alterung des Kunststoffes und der damit einhergehenden Verfärbung geschuldet sein wird. Die originale Farbgebung war gelb und rot. Auf historischen Fotos ist zu erkennen, dass es einen Verlauf von Rot nach Gelb von jeweils zwei gegenüberlie-genden Kanten gab. Die Erker hatten einen eigenen, aber vergleichbaren Farbverlauf. Heute ist die rote Farbe nur noch an wenigen Stellen vorhanden. Ob die gelbe Farbe noch vorhanden ist - wenn sie nicht ohnehin durch die Färbung des Kunststoffes entstand - ist durch die Grundfarbe nicht deutlich zu erkennen.
Neben den Fassaden der Wohngeschosse hat sich auch die innerhalb eines Betonrahmen weitgehend verglaste Fassade des Ladenlokals im Erdgeschoss aus der Bauzeit erhalten. Auch die Eingangssituation der Wohngeschosse links daneben und das anschließende Treppenhaus sind unverändert aus der Bauzeit überliefert ebenso wie die Aufteilung der Vollgeschosse in je zwei Appartements auf jeder Etage. Eine 1978 geplante Verbindung der Appartements zu einer größeren Wohneinheit in jedem Geschoss wurde nicht umgesetzt. Lediglich der ebenfalls geplante Umbau des ursprünglich als Waschküche und Trockenraum konzipierten Dachgeschosses zu einem weiteren Appartement wurde umgesetzt.
Das Treppenhaus zeigt im Unterschied zu der expressiv farbenfrohen Gestaltung der Fassade eine bewusst minimalistisch-puristische Gestaltung: Die Struktur der Oberflächen von Wänden (Kalksandstein, gestrichen) und Treppe (schalungsrauer Beton) ist sichtbar belassen, die Brüstungen zum Lichtschacht der Treppe auf der Rückseite des Gebäudes, bestehen aus dünn gerahmten Plexiglasscheiben und die elektrische Treppenhausbeleuchtung ist mit Lampen in der Form einfacher zylindrischer Fassungen gestaltet. Graue und weiße Farbtöne sowie genoppte Kunststoffböden und im Erdgeschoss weiß geflieste Wände runden das für die Bauzeit typische nüchtern-funktionalistische Erscheinungsbild ab. Belebt werden sollte das Treppenhaus wohl durch gleichsam "schwebende" Pflanzbeete. Zu diesem Zweck hatte der Architekt, wie man den Plänen entnehmen kann, die flachen Betonwannen im Lichtschacht des Treppenhauses anbringen lassen. Ob diese allerdings tatsächlich je im Sinne der ursprünglichen Idee genutzt wurden lässt sich nach jetzigem Kenntnisstand nicht beantworten. Entsprechende Nutzungsspuren waren beim Ortstermin nicht zu erkennen. In den beim Ortstermin besichtigten Appartements (Hofseite und Dachgeschoss) waren, mit Ausnahmen der Fassadenelemente, nur noch wenige bauzeitliche Oberflächen oder Ausstattungsdetails zu finden. Hier sind vor allem die in allen besichtigten Wohnungen noch vorhandenen Duschräume zu nennen deren Türöffnungen, ganz im Sinne von vor allen in den 1970er Jahren verbreiteten Design-Vorstellungen, gerundete Ecken zeigen. (siehe LVR-Gutachten vom 15.02.2023, das Bestandteil der Eintragung ist) |
Begründung | Das Wohnhaus Templergraben 29 in Aachen erfüllt im definierten inhaltlichen und räumlichen Umfang mit den oben beschriebenen wesentlichen charakteristischen Merkmalen die Voraussetzungen eines Baudenkmals im Sinne des § 2 Abs. 1, 2 Denkmalschutzgesetz NRW in seiner Fassung vom 13.04.2022 (DSchG NRW). An seiner Erhaltung und Nutzung besteht in Gänze ein öffentliches Interesse, denn es ist bedeutend für die Geschichte des Menschen und es besteht ein Interesse der Allgemeinheit an seiner Erhaltung und Nutzung aus wissenschaftlichen, hier insbesondere architektur- und materialhistorischen Gründen.
Das Wohnhaus Templergraben 29 ist bedeutend für die Geschichte des Menschen als sehr anschauliches Zeugnis einer von ausgeprägter technischer Fortschrittsgläubigkeit im Sinne der Ideen der Moderne des 20. Jahrhunderts geprägten Epoche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Besonders in den 1950er bis 1970er Jahren dominierte in weiten Teilen von Gesellschaft, Politik und Wissenschaft die Überzeugung, durch immer neue, verbesserte Technologien und Materialien nicht nur Lösungen für die aktuellen, sondern auch für die zukünftigen Probleme der Menschheit finden und so die menschlichen Lebensbedingungen allgemein immer weiter verbessern zu können. Diese Haltung befeuerte eine alle Lebensbereich umfassende Experimentierfreudigkeit die von einer grundsätzlichen Überlegenheit des Neuen, Modernen gegenüber dem Erprobten, Traditionellen ausging. Im Feld der Architektur und des Bauwesens war diese Zeit mit einem stetig wachsenden Bedarf an Wohnraum konfrontiert, dessen immer weitergehende Verschärfung zudem angesichts einer rasch wachsenden Weltbevölkerung absehbar war. Experimente mit neuen Baustoffen, insbesondere aus Kunststoff, sollten hier einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung aktueller und zukünftiger Probleme liefern. Einer der wichtigsten Vordenker des Bauens mit Kunststoffen in Deutschland Amtor Schwabe (* 1907, ? 1988) schrieb dazu 1974 gleichsam programmatisch Folgendes: "Die Aufgabe, Bauten herzustellen, in denen Menschen wohnen oder arbeiten können, wird bereits in den kommenden Jahrzehnten so riesenhaft ansteigen, daß die bisher bekannten Baumethoden nicht mehr genügen, die konventionellen Baustoffe nicht mehr ausreichen. Von allen für das Bauen verwendeten Materialien sind die Kunststoffe diejenigen, mit denen diese Aufgaben, mit dem geringsten Gewicht, in der kürzesten Zeit, mit dem rationellsten Materialaufwand und den wenigsten Arbeitskräften zu bewältigen wären, wenn industrielle Produktionsmethoden in großem Umfang angewendet werden könnten. Die Forderung lautet, solche Produktionsmethoden zu entwickeln und durch eine breite Anwendung typisierter Bauteile die Basis für die Wirtschaftlichkeit der Industrieproduktion von Kunststoffbauten zu schaffen.? (zitiert nach Voigt 2007, S. 48).
Glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK), wie er auch an den Fassaden des Hauses Templergraben 29 verwendet wurde, entwickelte sich dabei schnell zu dem führenden Material für den Einsatz als Baustoff. Die Bedeutung die man diesem Material für das Bauen der Zukunft beimaß wurde unter anderem bei den Weltausstellungen 1967 in Montreal und 1970 in Osaka sichtbar. Neben den vielbeachteten Pavillon-Architekturen aus GFK war in Osaka auch das futuristische Wohnprojekt Habitat-Capsule des japanischen Architekten Kisho Kurokawa zu sehen, eine modulare Struktur mit variabel kombinierbaren Raumzellen aus diesem Material.
An der Erhaltung und Nutzung des Gebäudes Templergraben 29 besteht weiterhin ein Interesse der Allgemeinheit aus wissenschaftlichen, hier insbesondere architektur- und materialhistorischen Gründen:
Das Gebäude Templergraben 29 ist ein überregional bedeutendes Zeugnis wichtiger architektonischer Strömungen seiner Bauzeit. Es gehört zu einer heute nur noch in geringer Zahl erhaltenen Gruppe von Pionierbauten des Bauens mit GFK. Über seinen Zeugniswert für die Pionierphase des Bauens mit GFK hinaus ist es zudem ein sehr anschauliches Beispiel der Umsetzung allgemeiner architektonischer Gestaltungstendenzen der späten 1960er Jahre unter Verwendung dieses neuen Baustoffs.
Die Erforschung und Erprobung von Möglichkeiten serienmäßiger Verwendung von GFK in unterschiedlichen Bereichen wurde seit 1942 durch die chemische Industrie zunächst vor allen in den U.S.A. vorangetrieben und gefördert. Zuerst arbeitete man an industriellen Standards für die Verwendung im Flugzeug-, Boots- Fahrzeug- und Behälterbau. Ab 1950 kam auch der Hausbau hinzu, denn die Chemische Industrie sah angesichts des großen Bedarfs an neuem Wohnraum gute Chancen ihre Tätigkeit gewinnbringend in dieses Feld ausdehnen zu können, erfüllten doch ihre Produkte wesentliche Voraussetzungen für die industrielle Vorfertigung von Bauelementen, wie es bereits Mies van der Rohe 1924 beschrieben hatte:
"ein Baumaterial [?], das sich technisch herstellen und industriell verarbeiten läßt, das fest, wetterbeständig, schall- und wärmesicher ist. Es wird ein Leichtmaterial sein müssen, [?] die Arbeit auf der Baustelle wird dann ausschließlich einen Montagecharakter tragen [?] das wird eine bedeutende Verbilligung der Baukosten zur Folge haben ?? (zitiert nach Voigt 2007, S. 95).
1957 entstand, gefördert durch die Monsanto Chemical Company mit dem so genannten "Monsanto-House" am Massachusetts Institute of Technology (MIT) einer der ersten Prototypen eines Fertigteilhauses aus GFK. Der Typus des kleinen Fertigteilhauses, oft als Zweitwohnhaus konzipiert, war eines der wichtigsten Felder des Bauens mit GFK in den 1960er und 1970er Jahren. Daneben wurden auch zahlreiche Fassaden mit dem neuen Baustoff gestaltet. Als ein frühes Beispiel des Einsatzes von industriell vorgefertigten Fassadenelementen sei hier das Elgin Estate in London von 1966 genannt. Die meisten Projekte des Bauens mit GFK in der Pionierphase der 1960er und 1970er Jahre wurde allerdings in Kleinserien mit eher handwerklichen Methoden in mittelständischen oder Kleinbetrieben durchgeführt. Das Wohnhaus Templergraben 29 ist hierfür ein sehr gutes Beispiel, denn seine GFK Elemente wurden auf Grundlage eines industriellen Vorprodukts in Handarbeit als Einzelstücke angefertigt. In dieser Hinsicht ist das Gebäude Templergraben 29 erhaltenswert als bedeutende Quelle für die Veranschaulichung und die materialhistorische Erforschung von Arbeitsprozessen in der Pionierphase des Bauens mit GFK. Architekturhistorisch bemerkenswert ist weiterhin, dass der hier verwendete Typus der transparenten Sandwichplatte mit Stegverbindungen zwar bereits seit den späten 1950er Jahren insbesondere von dem Schweizer Architekten Heinz Isler erprobt wurde, allerdings nicht für senkrechte Bauteile, sondern für Überdachungen (u.a. Tankstelle in Thun, Schweiz, 1960). Transparente Außenwände sind unter den Kunststoffbauten der 1960er und 1970er Jahre eine große Seltenheit. Fassadenelemente und die Außenwände von Fertigteilhäusern aus GFK waren fast immer nicht transparent. Transparente GFK Elemente wurden fast ausschließlich als Lichtdächer und damit als Ersatz für schwerere Glaskonstruktionen verwendet. Eine seltene Ausnahme war die 1960 - 63 errichtete, 1978 abgebrannte Jakobuskirche in Düsseldorf-Eller des Architekten Eckhard Schulze-Fielitz (* 1929, ? 2021), deren Außenwände vollständig aus Dekaphan bestanden. Diese Kirche wird Karl-Heinz Gansfort sicher gekannt haben, nicht nur, weil er sein Büro in Düsseldorf hatte, sondern auch, weil die Firma Deutsche Kapillar-Plastik GmbH & Co (Biedenkopf, Lahn) in einem Prospekt, den der Architekt selber einem Schreiben an die Stadt Aachen beigelegt hatte, mit diesem Bau warb. Die Verwendung transparenter Elemente hatte für Gansfort aber über den Charakter der Erprobung der Möglichkeiten von GFK als Baumaterial hinaus sicher auch einen im besten Sinne architektonischen Grund, ermöglichten sie doch eine deutliche Verbesserung der Belichtung der durch den schmalen Parzellenzuschnitt bedingten vergleichsweise großen Raumtiefen. Die konsequente Umsetzung transparenter Außenwände scheint zudem in gewisser Weise auf eine Architekturutopie des frühen 20. Jahrhunderts zu verweisen: Die gläsernen Städte. Bei Max Taut, einem der Vordenker dieser Utopie, erinnerten die Gebäude dieser Städte an Kristalle und auch die von Gansfort für die Erker des Hauses Tempergraben 29 verwendete Form ist aus einem bei Kristallen oft anzutreffenden Polyeder abgeleitet. Damit reihen sich seine Fassaden auch ein in die bei vielen Bauten mit GFK anzutreffende Gestaltungstendenz mit aus der Natur abgeleiteten Formen. Auch wenn hierbei die organischen vor den kristallinen Formen deutlich dominierten, wurden beide doch im gleichen Sinne als Ableitungen aus Naturformen angesehen. Darüber hinaus reihen sich die Fassaden des Hauses Templergraben 29 ganz allgemein ein in die starke Strömung expressivplastisch gestalteter Bauten des so genannten Brutalismus.
An der Erhaltung und Nutzung des Gebäudes Templergraben 29 besteht weiterhin ein Interesse der Allgemeinheit aus architekturhistorischen Gründen als wichtige Quelle zur Erforschung des bisher wenig bekannten Werks des Architekten Karl-Heinz Gansfort. Ein architekturhistorisches Forschungsinteresse am Werk dieses Architekten ist dabei nach jetzigem Kenntnisstand wesentlich begründet durch seine Rolle als Pionier des Bauens mit GFK, dem er mit seinem Aachener Projekt eine wichtige eigene Facette hinzufügte. Dabei ist charakteristisch für einen Repräsentanten der Pionierphase, dass er die Erprobung neuer Baustoffe durch Realisationen mit vorantrieb, wobei diese Bemühungen, wie das Beispiel Templergraben 29 eindrücklich zeigt, oft begleitet waren von Skepsis und bauordnungsrechtlichen Widerständen. Karl-Heinz Gansfort scheint dabei neben dem Bauen mit GFK auch im Bereich des Einsatzes von Solaranlagen und der Entwicklung einer auf die Rahmenbedingungen dieser neuen Technologie ausgerichteten architektonischen Gestaltung als Pionier aufgetreten zu sein. Neben Veröffentlichungen zu diesem Thema konnte er anscheinend seine Ideen hierzu zumindest bei einem Projekt, einer 1978 - 80 in Ratingen errichteten Villa umsetzen.
(siehe LVR-Gutachten vom 15.02.2023, das Bestandteil der Eintragung ist)
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