Merkmale | Wohn- und Gesellschaftshaus "Zur Neuen Welt", errichtet 1904-05 für Joseph Oeben, Entwurf Büro Albert Schneiders unter wesentlicher Beteiligung von Ludwig Mies van der Rohe; viergeschossiges, ehem. giebelständiges Gebäude auf schmaler Parzelle; symmetrische Fassade aus gekrönelten Granitplatten. Hohes EG, Öffnung mit Korbbogen, hölzerne Fenster-/Türanlage mit Oberlicht im Bogen aus Nachkriegszeit weitgehend erhalten, oberhalb Bogen eingemeißelter Schriftzug "Zur Neuen Welt"; 1. OG mit Drillingsfenster, daneben Putzflächen (Blindfenster); vor dem Fenster schmiedeeiserne Blumenkastenhalterung mit Akanthusblättern und Blüten; darüber weit ausladendes Gesims; auf der oberen Anlauffläche des Gesimses setzen zwei polygonale Erker an, diese im 2. und 3. OG auf allen Seiten mit Fenstern, die Erkerecken leicht plastisch vortretend; Fassadenabschluss durch ausladendes Traufgesims (Nachkriegszeit). Alle hist. Fenster modern ersetzt. Dach nach Kriegszerstörung als Staffelgeschoss neu aufgeführt, der ehem. Schaugiebel verloren. Schlichte Rückfassade in zwei Achsen, Oberfläche verändert.
Innen: Keller und EG mit in Teilen bauzeitlicher Konstruktion und Raumstruktur, EG mit großem Gastraum über die gesamte Gebäudetiefe, rechte Seite mit geschlossenem Gang/Zwischengeschoss auf ummantelten Stützen. Hinter der Fassade bauzeitlicher Treppenlauf zum Zwischengeschoss aus Blaustein, im anschließenden Flur Terrazzoboden mit Einlegearbeiten. Zwei bauzeitliche, glasierte Terrakotten an den Wänden zweitverwendet. Ehem. Hof heute in den Gastraum einbezogen. Obergeschosse und Hinterhaus in der 2. Hälfte des 20. Jh. stark verändert / neu aufgebaut. |
Begründung | Das Objekt ist bedeutend für die Geschichte der Menschen und für Städte und Siedlungen. Für seine Erhaltung und Nutzung liegen künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche und städtebauliche Gründe vor.
Bedeutung für die Geschichte des Menschen und der Städte und Siedlungen:
Das Objekt ist Bedeutend für die Geschichte des Menschen und der Stadt Aachen, da es sich hier um ein in Teilen erhaltenes Gebäude nach dem Typus des privaten "Volkshauses" handelt. Die Geschichte und Besitzergeschichte ist eng verwoben mit der Geschichte der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften in Aachen, deren politisches und gesellschaftliches Zentrum hier Anfang des 20. Jahrhunderts zu verorten war. Die Bedeutung des Gebäudes, bei dem der Bauherr viel Wert auf eine entsprechende Funktionalität und auf eine für die Sozialistenkreise typsiche Ikonographie Wert legt, zeigt sich auch an der Beteiligung des rennomierten Aachener Architekturbüros Schneiders. Daraus resultiert schließlich auch die wohl maßgebliche Beteiligung des in Aachen geborenen und hier aufgewachsenen Architekten Mies van der Rohe am heutigen Erscheinungsbild.
Ferner liegen für Erhalt und Nutzung vor:
Künstlerische Gründe:
Die Entwürfe für das Haus Oeben lieferte das renommierte und vielbeschäftigte Aachener Architektur- und Ingenieurbüro Carl Albert Schneiders (*1871/+1922). Zu seinem umfangreichen Oeuvre gehören zahlreiche Wohnhäuser, Wohnhausgruppen und Villen der Jahrhundertwende-Zeit in Aachen. Als eines seiner bedeutendsten Projekte dürfte das 1965 abgebrochene Warenhaus Tietz am Markt zählen, dessen repräsentativ-ornamentreiche Fassade lange Zeit ein Pendant zur historischen Rathausfassade bildete. Für die Zeichnung dieser Ornamente stellte Schneiders 1904 den jungen Ludwig Mies ein. Neben Mies beschäftigte Schneiders in seinem erfolgreichem Büro zeitweise mehrere junge Mitarbeiter, darunter die später selbst erfolgreichen Architekten Emil Fahrenkamp, Josef Bachmann, Ferdinand Goebbels und Franz Dominick.
Weisen Schneiders Entwürfe zunächst noch zeittypisch eklektizistische Formen sowie eigene Ornament-Schöpfungen auf, so greift er später auf Motive des Landhausstils und des Neoklassizismus zurück. In seinen Projekten wird deutlich, dass Schneiders stets auf aktuelle Strömungen und Stilvorlieben in der Architektur reagierte. Das künstlerische Schaffen Schneiders ist für die Architektur in Aachen wichtig, sein Büro als Lehrstätte zahlreicher einflussreicher Architekten von Bedeutung.
Die höchstwahrscheinlich maßgebliche Beteiligung Mies am Entwurf zum Haus Oeben konnte in der jüngeren Forschung (Lohmann/Scholz 2019) nachgewiesen werden. Maria Ludwig Michael Mies (*1886 Aachen / +1969 Chicago, erst ab 1922 "Mies van der Rohe") war der führende Vertreter einer Architektengeneration, die in den 20er Jahren das "Neue Bauen" propagierte und der Moderne zum endgültigen Durchbruch verhalf. Anders als bei seinen zumeist akademisch geschulten Altersgenossen, vollzog sich sein Werdegang zunächst ganz in den handwerklichen Traditionen einer kleinbürgerlichen Herkunft. 1904 wurde er im Aachener Architekturbüro Albert Schneiders als Zeichner eingestellt. Während seiner Tätigkeit bei Schneiders scheint es, dass er zunehmend sein Aufgabenspektrum erweitern konnte und beim Haus Oeben wesentlich am Entwurf beteiligt war. 1906 verließ er Aachen und ging nach Berlin, wo er u.a. ab 1908 bei Peter Behrens beschäftig war. Nach einem Zwischenspiel in Den Haag eröffnete Mies 1912 sein eigenes Architekturbüro. Trägt sein Werk vor dem ersten Weltkrieg noch neoklassizistische Züge oder folgt der Reformarchitektur, so macht Mies in den frühen 1920er Jahren vor allem durch seine sachlichen Stahlbeton- und Glasbauten von sich reden. 1926/27 ist er Leiter der Werkbundsiedlung Weißenhof in Stuttgart, danach wird er Vizepräsident des Deutschen Werkbundes bis 1933. Von 1930 bis 1933 übernimmt er außerdem die Leitung des Bauhauses in Dessau und Berlin, bevor er 1938 in die USA emigriert. Dort eröffnet er ein Architekturbüro in Chicago, wird Direktor der Architekturabteilung des Illinois Institut of Technology und verwirklicht in den folgenden Jahren zahlreiche weltbekannte Bauprojekte.
Ludwig Mies van der Rohes herausragender Einfluss auf die jüngere Entwicklung von Architektur, Design und Möbelbau ("International Style") ist unumstritten. In der Wissenschaft gilt er als einer der bedeutendsten Architekten der Moderne, als Wegbereiter und Entwickler moderner Tragstrukturen und visionärer Ideen.
Wissenschaftliche, insbesondere architekturhistorische Gründe:
Das Gebäude ist für die Wissenschaft unverzichtbar, da es anhand seiner dem Reformstil angelehnten Architektur und der Historie als Typus des Volkshauses für Aachen nach bisherigem Kenntnisstand einmalig ist. Der Reformstil war gerade bei den Volkshäusern nach der Jahrhundertwende eine Möglichkeit, sich von der als konservativ-bürgerlich empfundenen Architektur der Kaiserzeit bzw. dem Historismus abzusetzen suchte. In diesem Zusammenhang ist die Gestaltung als stark in Form und Ornament reduzierte, sorgfältig bearbeitete Granit-Fassade ungewöhnlich für diese Zeit in Aachen.
Vor allem aber ist das Gebäude Alexanderstraße 109 das älteste in weiten Teilen erhaltene Bauwerk, an dem eine umfangreichere bis maßgebliche Beteiligung Mies van der Rohes nachweisbar ist. Es stellt somit einen wichtigen Baustein bei der Erforschung seines Frühwerkes und seiner Lehrzeit dar und dient als bauliche Quelle. Insbesondere seine frühen Lehrjahre in Aachen sind, sowohl was seine Mitarbeit und Prägung im elterlichen Steinmetzbetrieb als auch seine Arbeit als Zeichner bei Schneiders betrifft, bisher nicht lückenlos erforscht. Die Beteiligung Mies am Bau des Hauses Oeben vervollständigt einen Teil dieses Desiderates.
Volkskundliche Gründe:
Das Gebäude Alexanderstraße 109 war Gründungslokal und Treffpunkt der Aachener Sozialdemokraten und Gewerkschaften. Hier begannen die Maiumzüge und hier war der Sitz des Gewerkschaftskartells.
Sowohl die archivalisch nachweisbare Ikonographie der Fassade mit Prometheus, der erhaltene Schriftzug als auch die Namensgebung "Zur Neuen Welt" spiegeln die enge Verknüpfung mit der sozialistischen Szene. Der Name verdeutlicht den Aufbruch in eine neue Zeit.
Zusammen mit dem "Frankenberger Bierkeller" an Rehmannstraße war das Haus Oeben auch der wichtigste Veranstaltungsort von SPD und Gewerkschaften für Reden und Diskussionen zum Thema Frauenwahlrecht 1913/14.
Das Gebäude ist in dieser Zeit die Zentrale aller freien gewerkschaftlichen Aktivitäten, der Ort der sozialdemokratischen Arbeiterbildung und -organisation samt Bibliothek sowie der Ort des Kampfes für das Frauenwahlrecht. Ein zeitgenössischer Bericht der Rheinischen Zeitung zur Eröffnung 1905 spricht dem Gebäude eine dem Zweck entsprechende und ihn "verkündende" Gestaltung in Form und Material zu. Diese ist bis heute nachvollziehbar. Auch der Gastraum ermöglicht, trotz seiner Veränderungen, noch einen nachvollziehbaren Eindruck der ehem. Räumlichkeiten und Nutzung. Städtebauliche Gründe:
Die Alexanderstraße gehört zu den historischen Hauptstraßen innerhalb des ehem. äußeren Stadtmauerringes. Die noch auf die mittelalterliche Bebauung zurückgehenden kleinteiligen, schmalen Parzellen sind trotz zumeist jüngerer Bebauung bis heute im Straßenbild erkennbar. Insbesondere auf der nördlichen Seite der Alexanderstraße zwischen Heinzenstraße und Hansemannplatz, zu dem das Haus Oeben gehört, ist die kleinteilige Struktur nachvollziehbar. Schäden im 2. Weltkrieg und die z.T. erheblichen städtebaulichen Umgestaltungen der Nachkriegszeit haben insbesondere den westlichen Bereich sowie die Bebauung am unteren Ende der Alexanderstraße bzw. Hansemannplatz (ehem. Kölntor) verändert.
Die trotz der Veränderungen im Bereich der Alexanderstraße nachvollziehbare Kleinteiligkeit der Bebauung auf überwiegend historischen Parzellen wird durch den hier gültigen Denkmalbereich Innenstadt explizit ausgewiesen. Der schmale Fassadenzuschnitt des Hauses Alexanderstr. 109 spiegelt dies wider. Zahlreiche Einzeldenkmäler in der näheren Umgebung, z.B. geschlossene Reihen an der Mariahilfstraße oder im Bereich Hansemannplatz und Monheimsallee, lassen die ehem. historische Bebauung des Viertels nachvollziehen.
Die Voraussetzungen des § 2 Denkmalschutzgesetz Nordrhein-Westfalen für die Eintragung in die Liste der geschützten Denkmäler sind daher erfüllt. |